Fußball-Weltmeisterschaften

Fußball-Weltmeisterschaften

Fußball-Welt- und Europameisterschaften – von Reiz und Gefahren für den Journalismus

Von 1998 bis 2012 habe ich bei Fußball-Welt- und Europameisterschaften beinahe ununterbrochen für das ZDF über die deutsche Fußball-Nationalmannschaft berichtet. Zu meinen Aufgaben gehörte vor allem die Berichterstattung aus dem deutschen Quartier. Dazu gehörten bei jedem Großereignis jeweils ca. 100 Schalt-Interviews für die diversen heute-Sendungen und das heute-journal, die Quartier-Interviews mit den Nationalspielern und das Gespräch mit dem Bundestrainer direkt nach dem Spiel.

Journalistisch war es sehr spannend, für die Zuschauer aktuell von solchen sportlichen Großereignissen zu berichten. Im Stadion konnte ich mir von den sogenannten „Observer-Seats“ selbst live ein Bild von der taktischen Ausrichtung der Mannschaften und der Körpersprache von Spielern und Trainern machen. Eine wichtige Voraussetzung, um den Zuschauern später auch mit Überzeugung eine fachliche Einordnung präsentieren zu können. Von den persönlichen, atmosphärischen Erinnerungen rund um die Spiele ganz zu schweigen.

Ich hatte ein „rotes Telefon“. Das heißt, ich wusste, wie ich, wenn es wirklich wichtig wurde, an interne Informationen kam. Die Quelle würde ich auch heute nicht preisgeben. Für den Alltag wichtiger war die Vorbereitung auf die taktischen Möglichkeiten und Spielphilosophien. Dazu habe ich jeweils kurz vor Beginn einer Welt- oder Europameisterschaft ausführliche Hintergrundgespräche mit dem Bundestrainer und/oder seinem Assistenten geführt. Welche Erwartungen haben sie an welche Position? Was erwarten sie von einem Spieler, der rechts in der Viererkette spielt, konkret in welcher Situation?

Von Vorteil war außerdem, dass ich von 2004 bis 2006 die Nationalmannschaft auch intern immer wieder beobachten konnte. Für ein filmisches Langzeit-Projekt habe ich Jürgen Klinsmann und sein Team intern filmen und das System studieren können. Entstanden sind daraus mehrere Dokumentationen für das ZDF. Klinsmann wurde in seiner Wirkungskraft später unterschätzt. Er war nicht nur Motivator. Er hat das ganze System Nationalmannschaft gegen alle Widerstände im DFB und von außerhalb durchgesetzt. Die verkrusteten DFB-Strukturen konnte nur jemand wie er aufbrechen. Er hat Joachim Löw, Oliver Bierhoff, den Psychologen Hans-Dieter Hermann, Urs Siegenthaler und Fitnesstrainer aus den USA installiert und damit die Grundlage gelegt für den WM-Triumph von 2014. Das wird allzu oft vergessen.

Über vier Wochen gibt es für die Journalisten, die die Nationalmannschaft bei einer WM oder EM begleiten, keine Atempause. Auch an ARD-Sendetagen ging die Arbeit für die ZDF-Nachrichtensendungen weiter. Auch Tage nach dem Ende einer Fußball-Weltmeisterschaft konnte ich nicht abschalten, fühlte mich immer noch in „Alarm-Bereitschaft“.

Mein Verhältnis zur DFB-Medienabteilung war kooperativ, aber nicht frei von Konflikten. Die direkten Zugänge zu Spielern und zum Trainerteam wurden zugunsten der Berichterstattung beim vereinseigenen DFB-TV für alle Journalistinnen und Journalisten über die Jahre deutlich reduziert. Es erscheint auf den ersten Blick sinnvoll, dass ein DFB-Kamerateam alle Sender mit Bildern der Nationalmannschaft beliefert, wenn die Spieler in der Freizeit im Hotel Tischtennis spielen. Aber das, was auf den ersten Blick als Service daherkommt, wird problematisch, wenn es um Krisenberichterstattung geht. Wenn ein Spieler aus disziplinarischen Gründen nach Hause geschickt wird, führt dann DFB-TV das erste Interview mit dem Bundestrainer? Hier wird dem Journalismus nicht geholfen, hier wird er in seiner Arbeit behindert.

Und auch hier zeigt sich, dass Entwicklungen im Sport das widerspiegeln, was in der Gesellschaft insgesamt zum Thema wird. Auch Politiker suchen den direkten Weg zu ihren Wählern, beliefern sie in Zeiten von Big Data individuell mit auf sie zugeschnittenen Infos. Oder sie twittern. Dass Donald Trump die Anzahl der Pressekonferenzen im Weißen Haus reduziert hat, ist ein Teil desselben Phänomens. Der Journalismus muss an dieser Stelle um seine Rechte kämpfen. Und immer wieder vermitteln, warum eine kritische, unabhängige Berichterstattung so wichtig ist.