Über „Lügenpresse“ und Debattenkultur

Über „Lügenpresse“ und Debattenkultur

Auszug aus „Journalismus auf dem Prüfstand – gut so!“, Vorwort zum Buch „Meinung, Macht, Manipulation – Journalismus auf dem Prüfstand“, Westend-Verlag, 2017.

Nicht nur der Journalismus ist im Umbruch. Das »Lügenpresse«- Schlagwort kommt nicht von ungefähr. Das politische Klima, nicht nur in Europa, ist rauer geworden. Nicht erst seit Flüchtlingsdebatte, Brexit und Trump. Diese Ereignisse haben den längst vorhandenen nationalkonservativen Bewegungen genützt oder sind von ihnen befördert worden. Und wenn in den Gesellschaften eine Kraft erstarkt, die in vielen Fragen völlig kontrovers zum vorherrschenden den Konsens steht, ist es fast schon folgerichtig, dass bisher selbstverständliche Positionen und Präsentationen in den Medien infrage gestellt werden. Die Frage ist nur, mit welchen Mitteln.

In den vergangenen Jahren hat sich in Deutschland mehrheitlich eine konsensorientierte Debattenkultur entwickelt. Und auch bei den großen, die Gesellschaft bewegenden Fragen herrschte in der Politik viel Übereinstimmung. Kein Wunder bei einer Koalition, die nach der Bundestagswahl 2013 fast 70 Prozent der Wähler repräsentiert und damit einer zahlenmäßig marginalisierten Opposition gegenübersteht. Und selbst diese hat viele Entscheidungen mitgetragen. Die wenigen vorhandenen Kontroversen wurden vor allem mit Argumenten ausgetragen, basierend auf belegbaren Fakten.

Nun ergeben sich einige berechtigte Fragen: Was ist mit der sogenannten vierten Gewalt? Wären die Medien in solch einer politischen Konstellation als Korrektiv nicht wichtiger denn je? Haben die großen, meinungsprägenden Medien es sich zu leichtgemacht, wenn sie sich innerhalb dieses Konsenses bewegt haben? Hätten sie nicht die Aufgabe, einer Politik, die sich gerne als alternativlos darstellt, Alternativen aufzuzeigen?

Spätestens seit Beginn des Ukraine-Konfliktes wurde sichtbar, dass in Teilen der Bevölkerung auch andere Positionen vertreten werden als von Politikern und den traditionellen Medien. Waren die Medien zu einseitig in ihrer Berichterstattung? Wurde von fast allen suggeriert, man wisse, wer auf dem Majdan zu unterstützen sei? Müssen wir nicht rückblickend konstatieren, dass bis heute niemand genau weiß, was auf dem Majdan wirklich vorgegangen ist? Immer wieder wurde die Berichterstattung in der Folge kritisiert, auch durch gut belegte Fakten. Auch wenn die Diskussion nur schwer in Gang kam und vor allem von digitalen Medienplattformen und von Teilen des Publikums eingefordert wurde – sie wurde geführt und lange Zeit argumentativ und auf sachlichem Niveau ausgetragen. Auch, als es um die Flüchtlingsberichterstattung ging. Wie auch sonst?

So war es nicht nur überraschend, sondern auch ein kultureller Schock, als wieder, wie zu Beginn der 1990er Jahre, Flüchtlingsunterkünfte in Brand gesetzt wurden und auf Pegida-Demonstrationen die Medienvertreter erstmals als »Lügenpresse« beschimpft wurden. Nicht nur historisch beschlagene Menschen waren empört. Denn der Begriff unterstellt nicht weniger als die bewusste, falsche Darstellung von Sachverhalten oder Meinungen. Und das ist ein Angriff auf die persönliche und berufliche Ehre. Und hat Folgen: Wer dem Anderen Lüge unterstellt, kann ihm selbst dann nicht trauen, wenn er die Wahrheit sagt. Und damit ist eine Kommunikation, die versucht, Fragen oder Probleme rational und verständigungsorientiert zu klären, fast ausgeschlossen. Die Kontrahenten begeben sich in isolierende Kommunikationsräume, in Echokammern mit Gleichgesinnten. Derjenige, der den Kampfbegriff »Lügenpresse« verwendet, behauptet, dass er zumindest weiß, dass die Aussagen der Presse falsch sind, und man darf getrost annehmen, dass er darüber hinaus von sich denkt, die Wahrheit zu kennen.