Das Nachtcafé im Portrait

Das Nachtcafé im Portrait

Gerade den Erfahrungen von Menschen, die nicht prominent sind, sollte Gehör geschenkt werden. Das Nachtcafé ist seit Jahrzehnten ein Ort, an dem dies geschieht. Und die kontinuierlich große Zuschauerresonanz zeigt, dass es ein hohes Interesse gibt, Menschen zuzuhören, die aus ihrem Leben berichten. Jede Woche 90 Minuten für ein Thema. Wo gibt es das sonst?

Auch Prominente sind willkommen. Aber sie sind nicht wichtiger als die anderen Gäste. Sie kommen, weil sie etwas zu einem Thema zu sagen haben und nicht, weil sie etwas verkaufen wollen. Wenn Prominente zu Gast sind, diskutieren sie mit den anderen auf Augenhöhe. Hinzu kommt ein Experte als Brücke zur Wissenschaft.

„Live aus dem Alabama“ war 1984 die erste Sendung, die im TV auch unbekannten Gästen ein Forum bot. 1987 zogen das Nachtcafé im SWR und DOPPELPUNKT im ZDF als erste bundesweite Sendung nach. Für mich persönlich schließt sich mit der Moderation des Nachtcafés ein Kreis. Als DOPPELPUNKT-Moderator habe ich das Nachtcafé bereits vor Jahrzehnten als Verbündeten gesehen.

Die Moderation dieser Traditionssendung ist für mich somit weniger ein Neuanfang als die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln. Denn bereits im DOPPELPUNKT ging es wie heute im Nachtcafé immer wieder darum, gesellschaftlich relevante Themen wie soziale Gerechtigkeit, Sterbehilfe, Wohnungsnot, religiösen Fanatismus, Probleme im Gesundheitssystem, Inklusion oder Ausgrenzung konkret zu machen. Immer wieder geht es um die Frage: Wie wollen wir leben, als Einzelne und als Gesellschaft? Diese Frage beziehen wir auf alle Lebensbereiche. Auf die Liebe, die Familie, das Älterwerden, auf Tod und Sterben und die Bewältigung von Schicksalsschlägen. Auf die Werteentscheidungen unserer Gesellschaft und auf die politische Verantwortung, die wir für Menschen tragen. Kein Thema, dass für unser Zusammenleben wichtig ist, ist dem Nachtcafé fremd.

In den 2000er Jahren haben viele Nachmittags-Talkshows der Idee durch immer abstrusere Themen eher geschadet als genutzt. Mittlerweile entstehen wieder häufiger sogenannte „Bürgertalks“, die dem Beispiel des Nachtcafés als einzige Traditionssendung, die bis heute besteht, folgen. Das ist gut so.